Multimedia Production – Ein Innovativer Studiengang der HTW
Seit 2009 gibt es an der HTW Chur den Bachelorstudiengang Multimedia Production. Das Vollzeitstudium bietet eine breite Ausbildung in den Bereichen Multimedia, Kommunikation und Journalismus, welche sich laufend neuen Entwicklungen anpasst. In diesem Interview beschriebt Martin Vollenweider, Professor für Interaktive Medien am Institut für Multimedia Production IMP an der Hochschule Chur, wie der Studiengang aufgebaut ist, dessen Umfang und Ziele, sowie den Erfolg, den er unter den Jugendlichen hat.
Martin Vollenweider, du arbeitest als Professor für Interaktive Medien am Institut für Multimedia Production IMP an der Hochschule Chur. Was ist das Besondere an eurer Ausbildung, wovon Studierende profitieren können?
Seit 2009 gibt es an der HTW Chur den Bachelorstudiengang Multimedia Production. Das Vollzeitstudium bietet eine breite Ausbildung in den Bereichen Kommunikation und Journalismus, welche sich laufend neuen Entwicklungen anpasst. Der Studiengang besitzt drei Besonderheiten. Wir setzen bewusst auf eine breite Ausbildung, unsere Absolventen sind Generalisten. Sie kennen sich auf den Gebieten Film, Text, Storytelling, Grafik und Audio ebenso aus wie mit Animation, Technik und Webtechnologien. Die Stärke der Studierenden liegt in der Konzeption und Umsetzung von Inhalten für verschiedene Medien und Kanäle. Dieses interdisziplinäre Denken hilft bei zukünftigen Arbeitsstellen. Die Absolventen arbeiten oft an Schnittstellenpositionen, zum Beispiel im Bereich zwischen Kommunikation und Technik. Ein ehemaliger Studierender hat dies folgendermassen formuliert, «grundsätzlich finde ich das Studium sehr gut. Meine Erfahrung zeigt, dass vor allem bei mittleren KMUs oder bei kleineren Agenturen der ‹Generalist› sehr geschätzt wird.
Die zweite Besonderheit im praxisorientierten Studiengang ist die laufende Anpassung an neuste Techniken. In der Lehre, sei es im Visualisieren, den Interaktiven Medien ode anderen Modulen wird der Unterricht in jedem Jahr den geänderten und sich rasant entwickelnden Technologien angepasst. Nicht nur die Inhalte werden laufend verändert, sondern auch die Formen der Lehre. Bei den Interaktiven Medien werden zum Beispiel sämtliche Vorlesungen gestreamt und auch aufgezeichnet. Die Studierenden können eine Vorlesung von zu Hause aus live mitverfolgen oder sich am Abend die Aufzeichnung anschauen. Die Dynamik der Veränderung spiegelt sich auch in der Ausleihe, wo laufend neuste technische Geräte angeschafft werden um die Studierenden optimal auf die Arbeitswelt vorzubereiten.
Die dritte Besonderheit des Studiengangs Multimedia Production ist, dass es sich um ein Joint Degree der HTW Chur und der Berner Fachhochschule BFH handelt. In jedem Jahrgang werden zwei Klassen in Chur und eine in Bern ausgebildet. Diese Situation stellt uns vor grosse organisatorische Herausforderungen: wie kann ich drei Klassen an zwei verschiedenen Standorten unterrichten? Mir schwebt ein Klassenzimmer vor, welches virtuell nahtlos an den anderen Standort übertragen wird. Dieses Szenario würde den Studierenden den Eindruck vermitteln, in einem grossen Raum zu studieren. Ich hoffe, dass ich im Herbst ein solches Modell entwickeln kann.
Deine Spezialität sind interaktive Medien. Was versteht man darunter?
Unsere Studierenden schliessen das Studium mit einem Bachelor of Science in Media Engineering ab. Das heisst, wir sind ein technischer Studiengang. Nebst der Bedienung von anspruchsvollen Film-, Video- sowie Fotokameras, Mischern und Recordern gehören auch die client- und serverseitigen Webtechnologien dazu. Die Vorlesungen der Interaktien Medien, welche die Studierenden während fünf Semestern besuchen, decken genau diese Themen ab. Die Studierenden wenden zuerst die Basistechnologien HTML, CSS und Javascript an und lernen, eigene Websites zu erstellen und im Internet zu veröffentlichen. Später befassen sie sich mit Datenbanken sowie der Programmiersprache PHP und bauen dynamische Webapplikationen. Das Wissen wird abgerundet mit Vorlesungen über Content Management Systeme und AJAX. Ein grosser Teil des Unterrichts befasst sich auch mit der Konzeption von Applikationen. Im Unterricht werden bei Realprojekten zuerst die Zielgruppen definiert, dann die typischen Nutzer mit Personas herausgearbeitet, Nutzungsszenarios entwickelt, Prototypen daraus gebaut und Use Cases abgeleitet. Getestet werden die Applikationen im Usability Lab der HTW.
Wir bilden keine reinen Programmierer aus. Für uns ist wichtig, dass die Studierenden ein technisches Grundverständnis haben, die Zusammenhänge erkennen, die modernen Technologien verstehen und in der künftigen Arbeitsstelle auch anwenden können. Eine ehemalige Studierende drückte dies so aus, «ich arbeite heute als Business Engineer und Interaction Designerin in einer Software Firma. Mein Job hat grundsätzlich wenig mit Programmieren zu tun. Trotzdem bringt mir meine Ausbildung in angewandter Informatik unheimlich viel! Nicht, weil ich programmiere oder sonst in irgendeiner Weise mit Code in Berührung komme, sondern weil ich das Verständnis für die Entwickler bekommen habe. Ich weiss genau, wie komplex ihr Daily Business ist und ich verstehe auch ihre Vorgehensweise bei der Entwicklung der Software. Dieses Wissen hilft mir, die Anforderungen an die Software in einer Sprache zu formulieren, die die Entwickler verstehen und eine userfreundliche Benutzeroberfläche zu designen, die auch den ‹Techis› Spass und nicht nur Mühe bereitet.»
Programmierung ist nicht nur die Grundlage von Onlineprojekten, sondern auch eine intensive Schulung von Sprache und Logik, die Basis von Journalismus. Programmieren steht auf einer Stufe mit der grundlegenden Lese- und Schreibfähigkeit. Wer dies als MMP Studierender in der heutigen Zeit nicht beherrscht, ist bald weg vom Fenster. Anwenderkompetenzen sind sicher wichtig, noch wichtiger sind das Programmieren und die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, zu analysieren und zu lösen.
Wie wird sich dieser Teilbereich in naher Zukunft entwickeln?
Ich vermute, dass wir in naher Zukunft von einer Lawine von neuen Technologien überrollt werden. Die Sensoren und embedded Systeme werden immer kleiner und günstiger, sie werden mehr und mehr in die Alltagsgegenstände integriert. Heute haben wir noch eine klare Trennung zwischen PC, Laptop, Tablet, Handy, Smartwatch etc. Die Geräte werden meiner Meinung nach in Zukunft immer mehr verschmelzen, sich in die Umgebung integrieren und uns überall in sich wechselnden, spezifischen Formen zur Verfügung stehen. Geräte, Medien und Kanäle werden sich vermischen. Die Kunst ist, diese Technologien einzuschätzen und sich zu überlegen, was deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und Lehre sein werden.
Zur Illustration ein einfaches Beispiel an Hand der Zeitungslektüre. Während des Frühstücks möchte ich vielleicht meine digitale Zeitung direkt am Küchentisch lesen können, ohne ein umständliches Tablet zu verwenden. Nach dem Frühstück könnte ich das Bedürfnis haben, in der Dusche die Artikel ohne umständliches Radio fertig zu hören, im Zug nach Chur die dazugehörigen Videos direkt auf dem Zugsfenster projiziert zu sehen und auf dem Velo zur Hochschule schliesslich die Artikel zu Ende hören. Heute gibt es zu viele Geräte und deren Bedienung ist unheimlich kompliziert, die Benutzer-Interfaces müssen sich massiv vereinfachen. In dieser Hinsicht stecken wir immer noch im 20. Jahrhundert.
Kannst du uns einige Highlights aus deiner bisherigen Tätigkeit an der HTW Chur erzählen?
Ich arbeite seit 2012 an der Hochschule. Das grösste Highlight war sicher die Einführung des Inverted Learnings kombiniert mit dem Streaming der Vorlesungen. Nebst etlichen technischen Herausforderungen mussten die Studierenden, aber auch das Kollegium von der neuen Art des Lehrens und Lernens überzeugt werden. Im klassischen Unterricht wird der neue Stoff während der Vorlesung vermittelt. Beim Inverted oder umgekehrten Learning zeichnet zum Beispiel der Dozent vorgängig Videos auf und erklärt darin den Stoff. Die Studierenden werden verpflichtet, die Videos oder die Lernmaterialien vor der Vorlesung durchzuarbeiten. In der Präsenzphase, also im eigentlichen Unterricht werden die wichtigsten Punkte der Videosequenz kurz zusammengefasst und mit kleineren Übungen vertieft. Die weiter gehende Auseinandersetzung mit dem Stoff passiert wie beim normalen Unterricht in längeren Übungen. Ein Vorteil des Inverted Learnings ist, dass die Studierenden Zeitpunkt und Dauer der Inhaltsvermittlung frei wählen können und im Kontaktunterricht die Zusammenhänge aufgezeigt und Fragen gezielt beantwortet werden. Es brauchte Überzeugungskraft, bis alle Studierende von diesen Methoden überzeugt werden konnten. Natürlich ist die Methode mit Risiken verbunden. Die Studierenden müssen die Videos vor der Vorlesung durchgearbeitet haben und die Technik des Streams muss einwandfrei funktionieren.
Wie ist das Feedback der bisherigen Studierenden über euer Fächerangebot?
Während des Studiums jammern viele Studierende, das Studium sei viel zu breit und fünf Semester Interaktive Medien seien zu viel. Es gibt viele Diskussionen in den Klassen über dieses Thema. Interessanterweise sehen die Absolventen den Nutzen des generalistischen Ansatzes in der Praxis sehr schnell. Wer sonst hat die Fähigkeit, gut zu schreiben, sprechen, zeichnen, visualisieren, programmieren, skizzieren, fotografieren und filmen? Wer kann multimediale und interaktive Inhalte konzipieren, gestalten und produzieren? Ein Absolvent meinte in der Alumni Befragung: «Ich bin noch immer sehr froh, dieses Studium absolviert zu haben! Es hat mir die Möglichkeit gegeben, mich selbst weiterzuentwickeln und die Freude am Planen, Organisieren und Durchführen von Anlässen geweckt.»
Studierende aus deiner Abteilung machen regelmässig auch kleinere (oder interessante) Projekte mit Businesspartnern. Kannst du uns da ein Beispiel nennen?
Wir realisieren in einem Semester mit den Studierenden Realprojekte. Das heisst, es gibt einen Kunden mit einem konkret umzusetzenden Auftrag. Die Studierenden lernen den ganzen Prozess der Konzeptionierung, des Briefings, der Kundenkommunikation sowie des Projektmanagements. Meistens sind es kleinere CMS Projekte, welche nicht zeitkritisch sind und sich in einem Semester konzipieren und umsetzen lassen. Es gab aber auch schon umfangreichere Semesterprojekte mit dem Ziel, neue Technologien zu untersuchen.
70 Studierende des Bachelorstudiengangs Multimedia Production hatten sich während eines Semesters Gedanken zum Thema «Internet of Things» (IoT) gemacht und in Zusammenarbeit mit der AXA innovative Konzepte entwickelt, die sie am ersten Zero Gravity Anlass in einem fünfminütigen Pitch präsentierten. Die Studierenden untersuchten mögliche IoT Aspekte bei den Themen «Workforce & Workspace Planning», «Schutz des Unternehmens», «betriebliche Gesundheit» und entwickelten daraus Anwendungskonzepte und Prototypen. Sowohl für die Hochschule als auch für die AXA sei die Kooperation eine Bereicherung gewesen, meinte der Projektleiter Pascal Reichmuth: «durch den Austausch mit den Studierenden haben auch wir als Grossunternehmen wieder neue Impulse gewonnen.»
Was für Projekte möchtest du demnächst in Angriff nehmen?
Im vergangenen Jahr befasste ich mich schwerpunktmässig mit dem Internet der Dinge (IoT). IoT ist zugegebenermassen ein alter Hut. Für uns am Institut steht dabei aber nicht die Technik im Vordergrund, sondern die Möglichkeiten, die Prozesse und Kommunikations-Flüsse zwischen den verschiedenen vernetzten Geräten auf eine grafische und interaktive Art darzustellen, zu steuern und zu verändern.
In diesem Jahr lautet unser Schwerpunkt Augmented Reality. Das bedeutet, dass die wirkliche, reale Welt erweitert wird um eingeblendete Bilder, Videos, Texte, Audiodateien oder 3D-Objekte, welche dem Betrachter zusätzliche Informationen zu einem Gegenstand geben. Meist werden diese Anwendungen für gedruckte Kataloge eingesetzt. Der Anwender schaut eine Katalogseite mit seinem Smartphone an und kann sich Videos oder detaillierte Informationen über ein abgebildetes Produkt anschauen.
Was für Firmen als Projektpartner wünschest du dir? /oder sollen sich bei dir für ein Projekt melden?
Im Herbstsemester möchten wir mit einem Partner zusammen die Möglichkeiten und Grenzen der Augmented Reality ausloten. Interessant könnten Aspekte des Storytelling, der Informationsvermittlung oder der verstärkten Interaktion mit dem Anwender sein. Wir suchen Partner mit den gleichen Interessen, welche einerseits Rahmenbedingungen vorgeben, andererseits den Projektteams weitgehend freie Hand bei der Erarbeitung ihrer Ideen lassen.
Natürlich sind wir immer offen für andere, auch unkonventionelle Ideen und Vorschläge aus dem grossen und offenen Gebiet der Interaktiven Medien. Themen, wie Datenvisualisierung, Internet der Dinge, virtuelle Realität, User Experience, Multimediale Systeme, Benutzerinterfaces, moderne Content Management Systeme etc. sind für uns von grösstem Interesse. Nebst Augmented Reality ist für uns eine weitere zentrale Forschungsfrage, wie sich Daten multimedial visualisieren lassen und welche technischen Systeme dafür benötigt werden.
Sehr interessiert sind wir auch an gemeinsamen Forschungsprojekten mit Partnern aus der Industrie oder dem Dienstleistungssektor. Optimal ist, wenn eine Firma mit einer konkreten Idee auf uns zukommt. Gemeinsam untersuchen wir das Potential der Vision und bauen zusammen mit Entwicklungspartnern zum Beispiel aus Medienhäusern, der Kommunikationsindustrie oder Verbänden konkrete multimediale Anwendungen oder Dienstleistungen.
Die Forschenden des Instituts beschäftigt sich auch mit der Frage, wie sich multimediales Arbeiten in Journalismus, der Corporate Communication, Verbänden und bei politischen Akteuren inhaltlich und technisch umsetzen lässt und welche Auswirkungen dies auf die Mediennutzung, Wissensvermittlung und Geschäftsmodelle hat.
Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Dir alles Gute und viel Erfolg für deine zukünftigen Projekte!